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Kayihan Kutlu gibt seinen Dönerimbiss nach mehrfachen Übergriffen auf
„Aus privaten Gründen geschlossen“ – was sich als Aushang am Dönerimbiss von Kayihan Kutlu lapidar lesen mag, hat in Brück eine politische Dimension. Viele Kunden, die gerne einen Döner in der Imbisshalle des Türken an der Bahnhofstraße kaufen wollen, stehen seit Donnerstag vor verschlossener Tür.
Der knapp 50 Jahre alte Betreiber hat seinen Imbiss endgültig geschlossen. Die Übergriffe auf seine Gaststätte, ein Auto sowie sein Wohnhaus, Flugblattaktionen mit diffamierenden und fremdenfeindlichem Inhalt sowie die Angst um seine Familie hätten ihn zum Rückzug bewogen, sagte er der MAZ.
„Obwohl die Täter bekannt sind, ist bisher noch keine strafrechtliche Verfolgung erfolgt“, sagte Kutlu über die Arbeit der Justiz nach den jüngsten Anschlägen vom Sommer vorigen Jahres. „Ich habe Angst, dass jederzeit wieder etwas passieren könnte.“ Inzwischen hatte er sich einen Hund angeschaft. Trotzdem blieb der Weg vom Imbiss in seine Wohnung angstbesetzt. Vielfach schlief Kutlu gleich in der Imbisshalle.
Diese war am Februar 2004 Ziel eines nächtlichen Brandanschlages. Dabei wurde ein Freund, der zur Tatzeit in dem Gebäude übernachtet hatte, verletzt, als er die mit einem Wurfgeschoss ausgelösten Flammen gelöscht hatte.
Als Drahtzieher dieses Anschlages wurden drei damals zwischen 19 und 21 Jahre alte Brücker wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchter schwerer Brandstiftung und gefährlicher Körperverletzung im Jahr 2004 zu einer Haftstrafe von acht Jahren verurteilt.
Doch der Imbissbetreiber wurde im Ort weiter diffamiert. Zum Beispiel mit Flugblättern, die sich im März 2005 in diversen Briefkästen gefunden hatten. Die offenbar rechtsgerichteten Initiatoren hatten dazu aufgerufen, den Imbiss zu boykottieren. Im Sommer vorigen Jahres folgten erneute Angriffe auf Kyihan Kutlu. Damals waren sein Wohnhaus massiv mit Eiern beworfen und ein Auto beschädigt worden. Auch fanden sich wieder rechtsgerichtete Flugblätter im Briefkasten.
Nach den Anschlägen hatte es jeweils Solidaratitsbekundungen von Brücker Bürgern für Kayihan Kutlu gegeben. Zudem bildete sich in der Stadt im vorigen Jahr ein Bürgerbündnis. Mehr als 50 Personen trafen sich, um verschiedene Aktionen vorzubereiten. Am Donnerstag tagte die Lenkungsgruppe des Bündnisses, ohne von der Schließung der Imbisshalle zu wissen. Das Bürgerbündnis gab sich inzwischen den Namen „Tu Was“ (Toleranz und Weltoffenheit aus Solidarität). Wie Hannelie Fischer berichtet, soll im März der Film „Blue eyes“ aufgeführt werden. Der Streifen zeigt, wie einfach Ausgrenzung und Rassismus entstehen können. Hannelie Fischer bedauert den Rückzug von Kayihan Kutlu ebenso wie Ricarda Müller von der Tagungsstätte „Alte Brücker Post“. Sie kann den Entschluss allerdings „menschlich verstehen. Kayihan Kutlu ist unser Freund“. Auch Kutlu selbst will die Freundschaften weiter pflegen, die in mehr als elf Jahren, die er in Brück arbeitet und wo er inzwischen auch lebt, entstanden. „Die Angst ist jedoch weiter da“, sagt er.
„Etwas enttäuscht“ von der Aufgabe des Imbissbetreibers zeigte sich gestern gegenüber der MAZ auch Bürgermeister Karl-Heinz Borgmann. „Immerhin gibt es jetzt ja mit dem Bürgerbündis eine Initiative, bei der richtig was passiert“. Abgesehen von den zu verurteilenden Taten einiger weniger Brücker, glaubt Borgmann, dass Kayihan Kutlu in der Stadt und bei seinen vorwiegend jugendlichen Gästen etabliert und anerkannt war. „Die Imbisshalle war ja wie ein Ersatz für einen Jugendklub“, sagt der Bürgermeister und bedauert den Wegfall dieses Angebotes.
Umso mehr soll das Bürgerbündnis weiter arbeiten, um vor allem auch die zahlreichen Russlanddeutschen, die in Brück-Ausbau wohnen „besser zu integrieren“.
von Andreas Koska und Thomas Wachs ~~UP~~
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