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BERLIN
MAZ-Serie: Zossen und Umgebung im Berliner Straßenbild
Teil 1: Die Zossener Straße in Kreuzberg
In fast allen größeren Orten Deutschlands findet man eine Berliner Straße. Wie sieht es aber umgekehrt aus? Die Region ist immerhin 26 Mal auf Straßenschildern der Hauptstadt vertreten. Dabei ist Großbeeren dreimal und Zossen zweimal zu finden. Als die drei neuen Bezirke Marzahn, Hellersdorf und Hohenschönhausen entstanden, wurde es zum guten Brauch, die Straßenzüge nach den Heimatgegenden und Orten der dort eingesetzten Bauarbeiter zu benennen. In den folgenden Wochen wird die MAZ in loser Reihenfolge die Straßen genauer vorstellen und zu Spaziergängen einladen. Die Zossener Straße in Kreuzberg macht den Anfang. ANDREAS KOSKA
Direkt vor den Toren des alten Berlin entstand Mitte des 19. Jahrhunderts ein neues Stadtquartier. Die Tempelhofer Vorstadt wuchs als Beamtenkietz aus dem Boden. Neben hochherrschaftlichen Stuckbauten wurden auch in den Hinterhöfen kleine Fabriken und Werkstätten errichtet, dazu Kasernen erbaut.
Die Zossener Straße beginnt direkt hinter dem Halleschen Tor, unweit des Jüdischen Museums, am Landwehrkanal. Sie wurde als Straßen 26 und 32 des Bebauungsplans von der Bellealliance Baugesellschaft 1874 angelegt. Schon am 2. Weihnachtfeiertag desselben Jahres war die offizielle Namensgebung. Alle umliegenden Straßen sind nach Orten im Süden von Berlin benannt.
Der Blick fällt zu Beginn des Spaziergangs auf die mächtige Kuppel der Heilig Kreuz Kirche. Der rote Backsteinbau wurde 1884–85 von dem bekannten Architekten Johannes Otzen im neugotischen Stil errichtet. Die Kirche ist inzwischen viel zu groß für die schrumpfende Gemeinde. Das Kircheninnere wurde zum Tagungszentrum ausgebaut, Konzerte und andere Kulturveranstaltungen sind über die Grenzen Berlins bekannt. Alljährlich in der Adventszeit werden alle Obdachlosen zum Gänseessen eingeladen. Frank Zander und andere Prominente bewirten alle, die kommen. Die Obdachlosenarbeit bildet einen der Schwerpunkte der Gemeinde.
Schräg gegenüber lohnt der Besuch der Friedhöfe vor dem Halleschen Tor. Einer Königsorder entsprechend mussten seit Anfang des 18. Jahrhunderts alle Friedhöfe außerhalb der Stadtmauern angelegt werden. So sind diese insgesamt sechs Friedhöfe angelegt worden. Sie gehören zu den interessantesten in Berlin. Eine Reihe berühmter Persönlichkeiten ist hier beerdigt worden. Zu nennen sind vor allem Felix Mendelssohn-Bartholdy, Fanny Hensel, Adalbert von Chamisso, Rahel Varnhagen und E.T.A. Hoffmann. Die Heilig Kreuz Kirche hat ein Grabfeld erworben, auf dem Obdachlose bestattet werden.
Gegenüber ein klassischer Stahlbeton-Industriebau. 1905 als Seifenfabrik errichtet, wird er jetzt als Gewerbehof genutzt. Auf über 18 000 Quadratmetern gibt es hier 100 Gewerbeeinheiten.
Die Straße ist viel befahren. In dem jetzt folgenden Abschnitt sind nur wenige Fußgänger anzutreffen. Nur einige Läden und Geschäfte beleben das Bild. Hier wohnt man.
Man sollte aber in die Höfe hineingehen. Die ehemals typische Berliner Mischung „vorne Wohnen, hinten arbeiten“ ist hier weiterhin zu finden. Ein besonderes Beispiel ist die Nr. 50. Zwei Hinterhöfe mit Remisen und Werkstätten. Auf den Fassaden sind noch Einschüsse aus dem zweiten Weltkrieg zu sehen. Auf der anderen Straßenseite lässt Radio-art die Herzen der Freunde des alten Dampfradios höher schlagen. Im Schaufenster kann man Fransitta, Babette, Nicolette und Colette bewundern, ebenso wie Madrid de Luxe und Rubin – Radioempfänger vergangener Epochen. Mustergültig vom Inhaber Horst Dieter Schmahl restauriert, alle nach Möglichkeit mit Originalteilen. Viele der Schmuckstücke kann man im Fernsehen oder Kino bewundern, denn Schmahl hat auch einen Requisitenverleih.
Nur wenige Häuser weiter kann man Klavierbaumeistern bei der Arbeit zuschauen. Bei Piano-Service Albay werden alte Flügel und Klaviere restauriert. Im Angebot befinden sich Schmuckstücke. Der teuere Schmücker-Flügel, wird als „historische Hammerflügel mit oberschlägiger Mechanik mit Palisanderoberfläche“ angepriesen.
Dazwischen fällt ein grell rotes Haus auf. Die Fenster in bunten Farben gehalten, gelb, grün, blau und lila sind sie umrahmt. Am Hauseingang ein kleines Schafsbild. Insgesamt zwölf solcher Bilder sind in der Straße zu finden. Vor zwei Jahren malte eine Künstlerin die kleinen Kunstwerke. Ansgar Gusy wohnt hier und wie er betont, gern. Das Haus wurde in den 80er Jahren von den Mietern gekauft. Die meisten von ihnen sind Studenten und junge Akademiker. Gemeinsam wurde angepackt und renoviert. Von der Wand der kleinen Remise im Hof lachen den Besucher immer noch die fröhlichen Gesichter der Kinder der damaligen Bewohner an. Ein über die ganze Fassade angebrachtes Wandbild.
„Zossen kenne ich nur von der Durchfahrt auf dem Weg nach Luckau“, sagt Gusy, weiß aber, dass Zossen eine Kreisstadt war.
Kurz vor der Gneisenaustraße wird es lebhafter. An einer Ecke das Backhaus Liberda, eine Gründung des türkischen Politikwissenschaftlers Cevik. Er ist nicht der einzige Akademiker, der nach dem Studium andere Wege als ursprünglich geplant eingeschlagen hat.
Der Wirtschaftsjournalist Jascha Kappelmeyer betreibt gemeinsam mit seiner brasilianischen Ehefrau den Süßwarenladen Docura (portugiesisch Süß). Ein kleines Paradies für Schokoladenliebhaber. Im Angebot sind Schokoladen von der Karibik bis Papua-Neuguinea.
Zu Ostern wird es besondere Preziosen geben, heute schon kann man Schokoladen, die mit Bergkäse oder Chili gefüllt sind, erwerben. Der Besuch beim „Knopf-Paul“ ist ein muss. Paul Heimann hat sein Hobby zum Beruf gemacht. Vor 30 Jahren begann er, noch als Schüler mit dem Knopfhandel auf Flohmärkten. Inzwischen handelt er nicht nur damit, sondern stellt selbst besondere Knöpfe her. Ob aus Schreibmaschinentasten oder Pflaumenkernen, nichts ist unmöglich für den Knopfmillionär.
Die bekannte Modedesignerin Claudia Skoda begann ihre Karriere ebenfalls in der Zossener Straße. Der Künstler Martin Kippenberger schuf nur für sie einen „Bilderboden“, einen Laufsteg dekoriert mit einer Collage aus 1300 Fotos von Skoda und ihren Freunden. Vor drei Jahren wurde der „Fußboden“ wiederentdeckt, restauriert und kann jetzt in einem westfälischen Museum bewundert werden.
Auch im Kashmir Shop gibt es etwas Besonderes, fairer Handel mit Produkten aus der Heimat von Majid Sultani, dem Besitzer.
Die Spielhalle mit ihrer bunten Werbung passt da nicht ins Bild, sie gilt trotzdem als ein besonderes Beispiel der 50erJahre-Architektur.
Im letzten Stück der Straße, zwischen Gneisenaustraße und Marheinekeplatz, tobt das Leben. Die Bürgersteige sind voll. In jedem Haus ein bis zwei Läden. Boutiquen, Gaststätten (Italiener, Inder, Thailänder und Türken), Cafés und kleine Lebensmittelläden wechseln sich ab. Mitten drin: „Grober Unfug“ – Verlag, Galerie und Laden für Comics aus der ganzen Welt. Im Schaufenster japanische „Mangacomics“ im Original. Ein Eldorado für Liebhaber dieser Literaturgattung.
An der Ecke Riemannstraße finden wir das Lokal „Zum alten Zossen“. Offensichtlich in Erinnerung an ein Pferd. So ist auch die Ausstattung der typischen Altberliner Kneipe. Hinter dem Tresen steht die Tochter der Besitzerin der Kneipe, Marina Bayer. „Meine Mutter hat den Namen wegen der Straße und der früher weiter oben befindlichen Pferdeställe gewählt. Zossen ist ein Dichter gewesen“ meint sie.
Die Tradition der Sparvereine wird im „Alten Zossen“ immer noch gepflegt. Ein paar Schritte weiter, an der Marheineke-Markthalle, endet der Spaziergang. Es ist eine der ehemals zwölf Berliner Markthallen. Bis vor kurzem ein buntes Sammelsurium an Ständen mit allem was man so zum Leben braucht. Jetzt wird dort renoviert. In Berlin haben sich nur vier dieser Hallen erhalten.
Wer noch Zeit und Muße hat, sollte den Spaziergang in der Bergmannstraße fortsetzen und vielleicht bei einem Café dem bunten Treiben auf der Straße zuschauen.
Ein besonderes Ereignis sollte man nicht verpassen, Ende Mai zieht der Karneval der Kulturen durch die Straße, ein Spektakel, das jedes Mal über eine Million Berliner zum Staunen bringt. Musik- und Tanzgruppen aus allen fünf Kontinenten zeigen bei einem Umzug ihr können. ~~UP~~
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