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medien:matthaeus-treffpunkt:200604

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in Treffpunkt 04-2006

Ein Bummel über die Leydenallee

Immer noch weht ein Hauch des ehemals größten preußischen Dorfes unter den stattlichen Linden

Genau 100 Häuser wird der Spaziergänger in der Leydenallee finden. Fast alle folgen der Traufhöhe der alten Kolonie Steglitz von selten mehr als 2, maximal drei Stockwerken. Eine Ausnahme bildet der Abschnitt zwischen der Berlinicke- und Schützenstraße: Hier dominieren Mietshäuser mit bis zu vier Etagen. Ähnlich bebaut ist die Ecke zur Klingsorstraße.

Alte Linden kennzeichnen die Straße

Die Leydenallee wurde am 8.6.1932 nach dem Arzt und Internisten Ernst Viktor von Leyden benannt. Der Anlass war die 100. Wiederkehr seiner Geburt. Der 1892 geadelte Leyden war Leiter der medizinischen Klinik der Charité, erforschte Erkrankungen der Lunge, des Herzens und des Nervensystems. Seine größten Verdienste erwarb er ganz besonders auf dem Gebiet der Tuberkulose- und der Krebsforschung.

Viele dürften sich erinnern, dass sich noch Mitte der 90er Jahre, da wo heute Jalousien verkauft werden, an der Ecke Schützenstraße, ein Lokal namens „Lindeneck“ befand. Der Name nahm, 60 Jahre nach der Umbenennung, immer noch Bezug auf den alten Straßennamen: Lindenstraße. Dieser Name wurde vor 1883 der Straße gegeben; die Linden stehen größtenteils heute noch.

Abwechslungsreiche Architektur

Unser Spaziergang beginnt an der Berlinickestraße. Hier dominieren Altbauten. Das Haus Nummer 95 fällt aus dem Rahmen: Nicht nur die Brasilienfahne im obersten Stockwerk zieht die Blicke auf sich. Das aus gelbem Klinker errichtete Haus stammt aus der Frühzeit der Kolonie. Es ist der einzige Backsteinbau und wurde 1873 auf dem Gelände des Seidenfabrikanten Heese von M.Roesner als ländliches Wohnhaus errichtet. Heute steht es unter Denkmalschutz.

Wer die Firmenschilder an den Fassaden genauer betrachtet, wird auch Kuriositäten finden: So arbeitet auf dem Hof der Nr. 94 ein Oldtimerservice.

Am lebhaftesten ist die Ecke zur Schützenstraße. Vom Fleischgroß- und Einzelhandel über Zeitungsladen und Bäcker ist hier das Geschäfts- und Einkaufzentrum des Viertels zu finden. Der weitere Weg in Richtung Klingsorstraße zeigt Bauten der Nachkriegszeit: 50er, 60er, 70er und 80er Jahre sind stilistisch deutlich erkennbar.

Das jüngste Gebäude, Nr. 87, eine sogenannte Stadtvilla mit mehreren Wohnungen, wurde in den 90ern errichtet. Bauherr war ein norddeutsches Ehepaar, das selbst darin wohnt.

Im Haus Nr. 79 hat die „Osteria Maria“ ihr Domizil. Das von Paul Wintz 1872- 73 errichtete Gebäude Nr. 79 steht unter Denkmalschutz. Das ganze Haus und das Nachbargebäude mit der Nr. 77 atmen italienisches Flair. Die Betreiber (und Besitzer?) haben sehr viel Wert auf Details gelegt. Der Zaun, die Beleuchtung, der rote Klinker. Italienisches Landhaus pur. Man glaubt Julia auf den Balkon heraustreten zu sehen.

Gegenüber kann man Zeichnen und Malen lernen. Daneben lädt die Werkgalerie Rössiger auch zu Ausstellungen ein.

Denk Mal!

An der Ecke Breite Straße fällt vor der Hausnummer 65 eine ausladende Stil- oder Sommereiche auf. Das Alter dieses Baums wird auf ca. 180- 200 Jahre geschätzt. Seine Höhe betrug 1961 19m und der Stammumfang 2,6 m: Ein Naturdenkmal im wahrsten Sinne.

Im Hof des Hauses Nr. 56 befindet sich ein Malereibetrieb. Wer die Fassade des gelb gestrichenen Hauses genauer in Augenschein nimmt, wird eine überpinselte Gedenktafel entdecken. Die kurze Inschrift lautet:„Lucie Kühne gründete hier 1873 die erste „Hoehere Mädchenschule in Steglitz“. 1880 wurden hier 113 Schülerinnen, acht Jahre später bereits 215 Mädchen von 11 Lehrerinnen und 7 Lehrern unterrichtet. Zum 25jährigen Bestehen waren es fast 300 Schülerinnen. Die Gemeinde Steglitz trat nach der Pensionierung des Lehrkörpers für die Kosten ein.

Im Hause Nr. 53 wurde die echte Steglitzer Göre und bekannte Schauspielerin Rotraut Richter am 15.5.1915 geboren. Als „Veilchen vom Potsdamer Platz“ wurde sie berühmt und starb 1947 in Folge einer Blinddarmoperation.

Die drei Häuser weiter stehende neoklassizistische Villa wurde 1874/75 von Paul Roettger errichtet. Das Gebäude und der Garten genießen Denkmalschutz. Nach dem Tod des Erbauers erwarb der bekannte Architekt Erich Blunck das Elfzimmerhaus.

Den Abschluss zur Klingsorstraße bildet der Gebäuderiegel des Beamten-Wohnungs- Vereins zu Berlin eG (siehe Foto)1) . Die interne Bezeichnung der Anlage lautet Steglitz I. Sie ist mit 112 Wohnungen in den Jahren 1901-04 von Erich Köhn errichtet worden. Zu erreichen sind die vielen Sozialeinrichtungen, das Gemeinschaftshaus und die Verwaltung von der Leydenallee über den Vereinsweg. Die Genossenschaft, an der man um 1900 mit 300 Mark Anteilseigner werden konnte, legt Wert auf ein Gemeinschaftsgefühl der Bewohner. Es werden Kurse und andere Aktivitäten angeboten. (Ein ausführlicher Jubiläumsband ist für 10 Euro in der Geschäftsstelle erhältlich). Auch diese Anlage steht unter Denkmalschutz.

Am Ende in die Sackgasse

Das nach der Überquerung der Klingsorstraße gelegene letzte Stück der Leydenalle ist eine Sackgasse, die leider keinen Durchgang zum anschließenden Stadtpark Steglitz gewährt. Nur einen Blick auf die Rückseite und den Hof der evangelischen Schule Steglitz ist möglich. Dieser Teil der Leydenallee war ursprünglich Teil der Dijonstraße und wurde erst am 9.6.1933 der Straße zugeschlagen.

An der Ecke zur Klingsorstraße erinnert eine „Berliner Gedenktafel“ an den heute zu unrecht vergessenen Maler Ernst Wilhelm Nay. Das Scheibenbild im zweiten Stockwerk der Deutschen Oper stammt von ihm. Er war ein echter Steglitzer, wurde in der Wulffstraße geboren.

Die Leydenallee birgt also ein vielschichtiges Stück Steglitzer Stadtgeschichte, das heute leider etwas in Vergessenheit geraten ist.

von Andreas Koska ~~UP~~

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1)
Foto nur in der Originalausgabe
medien/matthaeus-treffpunkt/200604.txt · Zuletzt geändert: 02.01.2007 20:56 (Externe Bearbeitung)